Gemäss Vorgabe der ElCom, nun bestätigt durch das Bundesgericht, dürfen Verteilnetzbetreiber die Kosten ihrer Eigenproduktion und der langfristigen Bezugsverträge nicht vollständig in die Grundversorgungstarife einrechnen. Diese Vorgabe führt zu Konsequenzen, welche politisch vermutlich nicht gewollt sind und entsprechend derzeit vom Gesetzgeber beraten werden.

A. Einleitung

[Rz 1] Im Sommer 2016 erliess das Bundesgericht ein in der Elektrizitätsbranche lange erwartetes Urteil1 zur Frage, ob ein Verteilnetzbetreiber (VNB) die Kosten seiner Eigenproduktion und seiner langfristigen Bezugsverträge2 voll in die Tarife seiner grundversorgten Endverbraucher (Endkunden)3 einrechnen darf.4

[Rz 2] Gestützt auf Art. 6 Abs. 1 Stromversorgungsgesetz (StromVG)5 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Stromversorgungsverordnung (StromVV)6 waren mehrere VNB der Auffassung, dass der Bedarf der grundversorgten Endkunden primär durch die eigene Produktion zu decken sei. Bloss wenn diese nicht ausreiche, seien Zukäufe am Markt zu tätigen und die Kosten dieser Zukäufe zusammen mit den Kosten der Eigenproduktion in die Tarife der Grundversorgung einzurechnen.

[Rz 3] Gestützt auf Art. 6 Abs. 1 i.V. mit Art. 6 Abs. 37 und Art. 6 Abs. 5 StromVG8 lehnte das Bundesgericht die Auffassung des VNB ab9 und bejahte10 die Gesetzmässigkeit der sogenannten «Durchschnittspreis-Methode» der Eidgenössischen Elektrizitätskommission ElCom. Gemäss dieser Methode dürfen die Kosten der Eigenproduktion nicht vollständig den grundversorgten Endkunden zugeordnet werden, wenn der VNB neben den grundversorgten Endkunden auch Marktkunden hat. Vereinfacht lässt sich die Durchschnittspreis-Methode und der Unterschied zur bisherigen Praxis mehrerer VNB am folgenden, einfachen Zahlenbeispiel darlegen11:

Kosten der Beschaffung
  • Eigenproduktion: 6 Rp./kWh12
  • Beschaffung am Markt: 3.5 Rp./kWh
Anteil Eigenproduktion am Gesamtabsatz
  • 50%
Durchschnittliche Beschaffungskosten
  • 4.75 Rp.13
Kundenstruktur
  • Grundversorgte Kunden: 70%
  • Marktkunden: 30% (Anteil kWh am Gesamtabsatz)
In der Grundversorgung anrechenbare Beschaffungskosten
Bei Durchschnittspreis-Methode: 4.75 Rp./kWh Bei vollständiger Anrechnung der Eigenproduktion: 5.28 Rp./kWh14
Effekt auf VNB: Deckung der Beschaffungskosten
Bei Durchschnittspreis-Methode:
  • Verkauf von 70% zu 4.75 Rp./kWh
  • Verkauf von 30% zu 3.5 Rp./kWh15
Durchschnittlicher Verkaufspreis: 4.38 Rp./kWh ) liegt unter den durchschnittlichen Beschaffungskosten ) keine Kostendeckung
Bei Eigenproduktion voll in Grundversorgung:
  • Verkauf von 70% zu 5.28 Rp./kWh
  • Verkauf von 30% zu 3.5 Rp./kWh
Durchschnittlicher Verkaufspreis: 4.75 Rp./kWh ) entspricht den durchschnittlichen Beschaffungskosten ) Kostendeckung

[Rz 4] Diese Darlegung lässt erkennen, dass die Auswirkungen der Durchschnittspreis-Methode nicht für alle VNB gleich sind, sondern abhängig sind von der jeweiligen konkreten Situation des VNB in Bezug auf (1) Kosten der Beschaffung, (2) Anteil Eigenproduktion am Gesamtabsatz, (3) Kundenstruktur, (4) Differenz der Kosten der Eigenproduktion zu den Marktpreisen und (5) bisherige Praxis zu Kalkulation der Grundversorgungstarife.

[Rz 5] In der relativ typischen Konstellation eines VNB16 führt die Durchschnittspreis-Methode dazu, dass die grundversorgten Endkunden Anspruch auf tiefere Energietarife haben,17 der VNB als Folge davon weniger Einnahmen erzielt und evtl. sogar einen Verlust erleidet. Um diese negativen Folgen abzuwenden18, sind kausal «Folgefolgen» zu erwarten: Der VNB wird die Verträge mit seinen Marktkunden nicht erneuern und/oder die im Vergleich zum Marktpreis teure Eigenproduktion abbauen und nicht erneuern.

[Rz 6] Steigt der VNB aus dem Geschäft mit den Marktkunden aus, erhöhen sich die Grundversorgungstarife wieder. Wird die Eigenproduktion nicht erneuert19, steht dies – zumindest in Bezug auf die Wasserkraft – in einem Zielkonflikt zur Energiestrategie 2050, welche die erneuerbaren Energien stärken will. Darüber hinaus stellt sich die politische Frage, ob der bestehende Eigenversorgungsgrad der Schweiz erhalten bleiben soll.

[Rz 7] Das Bundesgericht wies in seinem Urteil ausdrücklich auf die negativen Folgen für die VNB hin; diese seien vom damaligen Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen worden.20 Daher ist es am (heutigem) Gesetzgeber zu entscheiden, ob die negativen Auswirkungen für die VNB und vor allem die Folgefolgen tatsächlich gewollt sind. Der politische Prozess zur Meinungsbildung des Gesetzgebers ist denn auch bereits im Gang. Möglicherweise legiferiert der heutige Gesetzgeber, dass der VNB seine Eigenproduktion voll in die Grundversorgungstarife einrechnen darf und dies allenfalls auch für die vergangenen Jahre (siehe dazu Abschnitt C in diesem Beitrag).

[Rz 8] Bleibt es bei der Durchschnittspreis-Methode gilt es mehrere offene Umsetzungsfragen zu klären. Von der Klärung dieser Umsetzungsfragen hängt ab, wie negativ die Folgen der Durchschnittspreis-Methode für die VNB und die Folgefolgen tatsächlich sind.21 Die ElCom versandte am Tag der Veröffentlichung des Bundesgerichtsurteils einen Newsletter mit einigen Aussagen zur Umsetzung des Urteils. Daraufhin gelangten viele VNB mit Anschlussfragen an die ElCom. Kurz darauf versandte die ElCom einen weiteren Newsletter, in welchem die ElCom unter anderem die rückwirkende Anwendung des Bundesgerichtsurteils mitteilte.22 Da weiterhin bedeutende Umsetzungsfragen offen waren, lud die ElCom Mitte Oktober 2016 zu einer Anhörung ein. Die ElCom stellte in Aussicht, zu den Umsetzungsfragen bis Ende 2016 Stellung zu nehmen. Abschnitt B dieses Beitrages beleuchtet einige offene Umsetzungsfragen sowie das Thema der rückwirkenden Anwendung des Urteils.

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Footnotes

1 Urteil des Bundesgerichts 2C_681/2015, 2C_682/2015 vom 20. Juli 2016 zur Publikation vorgesehen. Zur Prozessgeschichte: Das Verfahren geht zurück auf ein Gesuch eines grundversorgten Industriekunden (von Roll casting AG) an die ElCom um Überprüfung der für die Grundversorgung anrechenbaren Kosten eines VNB (Centralschweizerische Kraftwerke AG). Die ElCom verfügte die sog. «Durchschnittspreis-Methode». Dagegen erhob der VNB Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Mit Urteil vom 3. Juni 2015 stufte das Bundesverwaltungsgericht die Durchschnittspeis-Methode der ElCom als zu ungenau und daher unzulässig ein und wies die Sache zurück an die ElCom (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-1107/2013 vom 3. Juni 2015 E. 9.2). Gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts erhoben das UVEK (anstelle der nicht beschwerdebefugten ElCom) und der Industriekunde Beschwerde an das Bundesgericht.

2 Die langfristigen Bezugsverträge werden in den weiteren Ausführungen dieses Beitrags nicht mehr erwähnt, da sie für die Zwecke der Berechnung des Grundversorgungstarifs mit der Eigenproduktion gleich gesetzt werden können. Siehe dazu die ElCom-Weisung 3/2012 vom 14. Mai 2012.

3 Die Stromversorgungsgesetzgebung unterscheidet drei Gruppen von Endverbrauchern: (1) Feste Endverbraucher, nämlich Haushalte und andere Endverbraucher mit einem Jahresverbrauch von weniger als 100 MWh; diese haben keinen Netzzugang, d.h. sie können ihren Stromlieferanten nicht frei wählen, haben aber Anspruch auf angemessene Tarife, sogenannte Grundversorgungstarife (Art. 6 Abs. 1 StromVG). (2) Endverbraucher mit einem Jahresverbrauch von mindestens 100 MWh, die auf die freie Lieferantenwahl einstweilen verzichten; diese haben ebenfalls Anspruch auf Grundversorgungstarife (Art. 6 Abs. 1 StromVG). (3) Andere Endverbraucher mit einem Jahresverbrauch von mindestens 100 MWh, die von ihrem Recht auf freie Lieferantwahl Gebrauch machen (Art. 13 StromVG; sog. freie Kunden oder Marktkunden). Während die Netznutzungstarife infolge des natürlichen Netzmonopols für alle Endverbraucher durch das Stromversorgungsgesetz reguliert werden, werden die Elektrizitätstarife nur für die Endverbraucher mit Grundversorgung gesetzlich reguliert (Art. 6 StromVG; Art. 4 StromVV).

4 Das Urteil des Bundesgerichts vom 20. Juli 2016 hatte noch weitere zentrale Themen zum Gegenstand: Die Beschwerdelegitimation von Endverbrauchern, zulässige Höhe von Vertriebskosten (anrechenbare Kosten inkl. Gewinn) in der Grundversorgung, Effizienzvergleich und Zulässigkeit von Einzelkennzahlen. Im Rahmen dieses Beitrags wird auf diese Themen nicht weiter eingegangen.

5 Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 StromVG: «Die Betreiber der Verteilnetze treffen die erforderlichen Massnahmen, damit sie in ihrem Netzgebiet den festen Endverbrauchern und den Endverbrauchern, die auf den Netzzugang verzichten, jederzeit die gewünschte Menge an Elektrizität mit der erforderlichen Qualität und zu angemessenen Tarifen liefern können.» Das StromVG äussert sich nicht weiter dazu, was als angemessener Tarif gilt.

6 Wortlaut von Art. 4 Abs. 1 StromVV: «Der Tarifanteil für die Energielieferung an Endverbraucher mit Grundversorgung orientiert sich an den Gestehungskosten einer effizienten Produktion und an langfristigen Bezugsverträgen des Verteilnetzbetreibers.»

7. Wortlaut von Art. 6 Abs. 3 StromVG: «Die Betreiber der Verteilnetze legen in ihren Netzgebieten für feste Endverbrau- cher mit gleichartiger Verbrauchscharakteristik, die von der gleichen Spannungsebene Elektrizität beziehen, einen einheit- lichen Elektrizitätstarif fest.»

8. Wortlaut von Art. 6 Abs. 5 StromVG: «Die Betreiber der Verteilnetze sind verpflichtet, Preisvorteile aufgrund ihres freien Netzzugangs anteilsmässig an die festen Endverbraucher weiterzugeben.»

9. Urteil des Bundesgerichts 2C_681/2015, 2C_682/2015 vom 20. Juli 2016 E. 5.2.6.

10.  Das Bundesgericht formulierte dies zurückhaltender: «Insgesamt kann die von der ElCom im vorliegenden Verfahren angewandte Methode nicht als gesetzwidrig betrachtet werden. Es besteht daher diesbezüglich kein Grund für eine gericht- liche Korrektur [. . . ] bzw. Rückweisung zur Neubeurteilung.» (Urteil des Bundesgerichts 2C_681/2015, 2C_682/2015 vom 20. Juli 2016 E.5.3). Folglich besteht die Möglichkeit, eine andere Methode anzuwenden. Aus Gründen der Rechtssicherheit und dem Gebot der Gleichbehandlung aller Marktakteure müssten Abweichungen von der Durchschnittspreis-Methode jedoch sehr gut begründbar sein. Hingegen ist die ElCom in Bezug auf die Vielzahl der offenen Fragen (siehe dazu Abschnitt B dieses Beitrags) frei und aufgefordert, die Durchschnittspreis-Methode sachgerecht zu verfeinern.

11 Vgl. Markus Flatt, Bundesgericht bestätigt die ElCom-Praxis hinsichtlich der Grundversorgung, 17. August 2016, (http://www.evupartners.ch/evu/wp-content/uploads/2016/08/20160817_EVUP_BGer-Urteil-zur-Grundversorgung_final.pdf; Website zuletzt besucht am 15. Dezember 2016). Das Beispiel in diesem Beitrag berücksichtigt keine Vertriebskosten und keine Marge im Vertrieb.

12 Gemäss ElCom-Praxis gilt analog zur Berechnung der anrechenbaren Kosten im Netzbereich auch im Energiebereich ein sogenanntes cost-plus Modell, wobei der «Energie-WACC» über dem «Netz-WACC» liegt. Vgl. Tätigkeitsbericht der ElCom für das Jahr 2012, S. 40.

13 Berechnung: 1/2 der gesamten Energiemenge wird zu 3.5 Rp./kWh beschafft, 1/2 zu 6 Rp./kWh. Durchschnittliche Beschaffungskosten pro kWh = Grundversorgungstarif gemäss Durchschnittspreis-Methode (0.5*6 + 0.5*3.5 = 4.75).

14 Berechnung: (0.5*6 + 0.2*3.5)/0.7.

15 Ein Marktkunde ist in der Regel nicht bereit und in jedem Fall nicht verpflichtet, mehr als den Marktpreis zu bezahlen. Bietet der VNB dem Marktkunden nicht den Marktpreis an, schliesst der Marktkunden den Vertrag nicht mit dem VNB, sondern mit einem Dritten wie z.B. einem ausländischen Stromhändler. Da der Marktkunde seinen Stromlieferanten frei wählen kann, besteht zwischen den Marktkunden und den grundversorgten Kunden keine «Solidarität» in Bezug auf die Kosten der Schweizer Eigenproduktion.

16 D.h. Beschaffung mittels Eigenproduktion/langfristige Bezugsverträge, neben grundversorgten Kunden auch Marktkunden, Marktpreis deutlich unter Kosten Eigenproduktion/langfristige Bezugsverträge.

17 Der Anspruch besteht solange der VNB Marktkunden beliefert.

18 Viele VNB sind im Eigentum der öffentlichen Hand (Kantone und Gemeinden). Aus diesem Grund werden die negativen Folgen für die VNB allenfalls, entgegen der betriebswirtschaftlichen Logik, zugunsten (zumindest kurzfristig) tieferer Grundversorgungstarife bewusst hingenommen und folglich keine Massnahmen zur Abwendung der negativen Folgen getroffen.

19 Z.B. keine Erneuerung der Konzession nach Konzessionsende. 20. Urteil des Bundesgerichts 2C_681/2015, 2C_682/2015 vom 20. Juli 2016 E. 5.2.6. Die kausalen Folgefolgen der negativen Auswirkungen für die VNB erwähnte das Bundesgericht nicht.

21. Angesichts der ökonomischen Relevanz der Umsetzungsfragen und angesichts der Vorgabe von Art. 164 BV wäre meines Erachtens nicht die ElCom, sondern der Gesetzgeber zur Regelung dieser Fragen berufen.

22. Newsletter der ElCom 8/2016 vom 25. August 2016.

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