Nach der Sektorenuntersuchung der Europäischen Kommission zum E-Commerce1 und der Geoblocking-Verordnung 2018 kommt eine weitere Weichenstellung auf (vertikale) Vertriebssysteme im online-Zeitalter" zu. Die geltende EU-Vertikale Gruppenfreistellungsverordnung (VertikalGVO") und die dazu publizierten Leitli-nien für vertikalen Beschränkungen (VertikalLL") verlieren im Mai 2022 ihre Gül-tigkeit. Diese Entwicklung fällt zusammen mit einer Intensivierung der Tätigkeit sowohl der Europäischen Kommission als auch nationaler Wettbewerbsbehörden im Vertriebsbereich. Auch die österreichische Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) ist in da seit geraumer Zeit sehr rührig. Das führte dazu, das von den 33 Entscheidungen des Kartellgerichtes zwischen2014 und 2018 der überwiegende Anteil, nämlich 22, vertikale Sachverhalte betrafen. Die waren meist Bußgeldentscheidungen über An-trag der BWB wegen wettbewerbsbeschränkender Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Wiederverkaufspreis. Mobile Endgeräte (Tablets, Smartphones und Naviga-tionsgeräte) waren ebenso betroffen wie Tankstellen, Home Audio & Visual Equipment Produkte, Bier und andere Lebensmittel.

Die VertikalGVO ist das Ergebnis einer langen Entwicklung und spiegelt die Überle-gung wider, das unterbestimmten Voraussetzungen – z.B. Marktanteilsgrenzen - bei Wettbewerbsbeschränkungen im Vertrieb die Vorteile für die Gesamtwirtschaft all-fällige Nachteile überwiegen. Besondere Regeln gibt es z.B. für den KFZ – Vertrieb. Die VertikalLL enthalten für die Praxis eminent wichtige Erläuterungen und Details zu häufig vorkommenden Fallkonstellationen. Erfüllt eine Vereinbarung alle Voraus-setzungen ist sie ungeachtet allenfalls enthaltener Beschränkungen vom allgemei-nen Kartellverbot freigestellt, also zulässig.

Die Europäische Kommission hat Hersteller und andere interessierte Marktteilneh-mer aufgefordert, bis 27.5.2019 ihre Meinung zum geltenden Recht der Vertikalen Vertriebssysteme zu äußern.2 Dies betrifft insbesondere bestimmte Beschränkun-gen, die Hersteller ihren Vertriebspartnern im vertikalen Verhältnis auferlegen kön-nen, wie z.B. die Verwendung von Online-Marketingplattformen, grenzüberschrei-tende Verkäufe oder Querverkäufe zwischen Wiederverkäufern ebenso wie der Ver-kaufs- und Werbepreise. Besonders sensibel sind Systeme, in denen nur autorisier-te Wiederverkäufer teilnehmen dürfen. Vor allem für Markenartikelhersteller kann dies den Betrieb über die nächsten Jahrzehnte beeinflussen.

Die praktische Bedeutung dieses Vorganges kann gar nicht hoch genug angesetzt werden. Sowohl die Europäische Kommission als auch nationale Wettbewerbsbe-hörden haben sich in letzter Zeit sehr intensiv mit vertikalen Beschränkungen und Vertriebskanälen beschäftigt. Davon zeugen einige spektakuläre Fälle:

  • Im Sommer 2018 verhängte die Kommission Strafen über vier Hersteller von Elektronikartikeln (Asus, Denon & Marantz, Philips und Pioneer) von insgesamt EUR 111 Mio. (bereits nach einem 40%igen Nachlass für Kooperation) für die Festsetzung von Fest- oder Mindestverkaufspreisen für Händler. Die vier Her-steller agierten besonders gegenüber Online-Einzelhändlern, die ihre Produkte zu niedrigen Preisen anboten. Wer sich nicht an die von den Herstellern verlang-ten Preise hielten, sahen sie sich mit Sanktionen konfrontiert, wie etwa einem Belieferungsstopp. Viele Online-Einzelhändler, setzen Preisalgorithmen ein, durch die ihre Einzelhandelspreise automatisch an die Preise der Wettbewerber angepasst werden. Daher wirkten sich Beschränkungen für die Online-Einzelhändler segmentübergreifend aus.
  • Im September 2018 hat die Kommission eine Untersuchung gestartet, in der geprüft wird, ob Amazon gleichzeitig als Drittplattform für andere Onlinehändler und daneben als Eigenhändler tätig sein kann und wie Amazon die diesbezügli-chen Daten verwendet. In diesem Zusammenhang wird es auch zu Markterhe-bungen kommen.
  • Im Oktober 2018 verhängte die französische Wettbewerbsbehörde eine Strafe von EUR 7 Mio. gegen Stihl (auch Marke Viking) für die Beschränkung von On-lineverkäufen. Die Händlern mussten die Produkte – Sägen, Motorsensen, He-ckenscheren etc. - entweder im brick and mortar" Geschäft verkaufen oder sie selbst an Kunden ausliefern. Ein Verkauf über eigene oder fremde Webseiten wurde damit faktisch unterbunden. Stihl konnte keine EU-Sicherheitsauflagen zu Begründung für das Online-Verkaufsverbot anführen.
  • Im Dezember 2018 verhängte die Kommission eine Rekordstrafe von annä-hernd EUR 40 Mio. (aufgrund des Kronzeugenprogrammes von ursprünglich EUR 80 Mio. reduziert für Zusammenarbeit) über das Modelabels GUESS für rechtswidrige Beschränkungen für Wiederverkäufer, insbesondere (a) Minimum-Wiederverkaufspreise, (b) Gebietsbeschränkungen (Geoblocking") und (c) Beschränkungen für Onlinewerbung. Die Kommission kritisierte auch, dass GUESS die Kriterien für das selektive Vertriebssystem entgegen den Best-immungen der VertikalGVO gefordert nicht objektiv angewendet hat.
  • Im Februar 2019 hat die österreichische Bundeswettbewerbsbehörde gegen Amazon ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts von Verstößen gegen österreichisches und europäisches Kartellrecht eröffnet. Untersucht werden Be-schwerden über
    • Unbegründetes und plötzliches Sperren von Händlerkonten,
    • Verpflichtung die Einkaufspreise offen zu legen,
    • Hinzufügen von unrichtigen Lieferangaben durch Amazon bei den Händlern,
    • Unbegründeter Verlust von Produktrankings der Händler
    • und Gerichtsstandklauseln, die eine Klage erschweren.

Von der VertikalGVO und den damit zusammenhängenden Fragen ist nahezu jede Vertriebsorganisation betroffen und entsprechend hoch sollte das Interesse und die Teilnahme sein. Die faktischen Informationen der Marktteilnehmer werden die Ent-scheidung beeinflussen ob die VertikalGVO auslaufen oder verlängert und allenfalls verändert werden soll, um neuen Entwicklungen gerecht zu werden, insbesondere der verstärkten Bedeutung von online-Verkäufen und dem Auftreten von neuen Marktteilnehmern wie online-Plattformen. Von besonderer Bedeutung werden dieje-nigen Punkte sein, die nach der Sektorenuntersuchung der Europäischen Kommissi-on zum E-Commerce besondere Aufmerksamkeit erfuhren, nämlich Preisbindungen, einschließlich die Verwendung von Preisüberwachungssoftware, Beschränkungen von grenzüberschreitenden Verkäufen, einschließlich betreffend ebensolcher Liefe-rungen und Zahlungen, die Verwendung von online-Plattformen sowie schließlich Aspekte des dualen Vertriebs, wo Hersteller in Wettbewerb mit ihren Händlern tre-ten. Auch Überlegungen zur Marktmacht von online Plattformen werden eine Rolle spielen.

Wie immer eilen die tatsächlichen Entwicklungen den Normen voraus. Aber die Normen werden die Zukunft prägen und jetzt haben die betroffenen Unternehmen die Möglichkeit, in einem transparenten Prozess ihre Interessen zu vertreten und diese sie betreffenden Normen mitzugestalten.

Footnotes

1. http://ec.europa.eu/competition/antitrust/sector_inquiry_final_report_de.pdf

2. https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/initiatives/ares-2018-5068981_de.

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