Länderreport Tunesien

I. Hintergrund

2022 war für Tunesien in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht kein einfaches Jahr. Staatsverschuldung und Außenhandelsdefizit haben sich beide signifikant erhöht. Gründe sind die (nachwirkenden) Folgen der COVID-19-Pandemie und die globalen Preiserhöhungen im Zuge des Kriegs gegen die Ukraine. Die lokale Produktion von Öl- und Gas ist schwach, und der tunesische Staatshaushalt leidet unter der Last öffentlicher Subventionen, insbesondere für Grundnahrungsmittel und Kraftstoffe.

Die Inflation stieg im Januar 2023 auf über 10%. Im Laufe des Jahres 2022 hat die tunesische Zentralbank den Leitzins in zwei Schritten um je 75 Basispunkte auf 8% angehoben. Per 28. 2. 2023 betrug der Wechselkurs EUR 0,20 zu TND 1,0.

Die politische Entwicklung bleibt nach den Parlamentswahlen vom Dezember 2022 mit einer extrem niedrigen Wahlbeteiligung volatil.

II. Rechtsentwicklung

Im fraglichen Zeitraum (der Bericht wurde zum 14. 3. 2023 abgeschlossen) sind die folgenden wesentlichen rechtlichen Entwicklungen zu verzeichnen.

1. Verfassungsrecht

Am 25. 7. 2022 wurde in Tunesien per Referendum eine neue Verfassung angenommen, die die Macht des Präsidenten stärkt. Sie ersetzt die Verfassung von 2014, die im Zusammenhang mit der Verfassungskrise von 2021 de facto außer Kraft gesetzt worden war. Die neue Verfassung erweitert die Machtbefugnisse des Präsidenten gegenüber der Legislative, die von zwei Kammern ausgeübt wird (dem Parlament und der Nationalen Versammlung der Regionen und Distrikte). Der Präsident hat insbesondere die Befugnis, die Legislativorgane aufzulösen, wenn mehr als zwei erfolglose Misstrauensvoten gegen seine Regierung im Laufe einer Amtszeit eingebracht wurden. Zugleich wurde das Recht des Parlaments abgeschafft, den Präsidenten in Fällen schwerer Pflichtverletzungen des Amtes zu entheben. Damit wurde die parlamentarische Kontrolle über die Exekutive und ihre Politik stark beschnitten.

Am 17. 12. 2022 wurde ein neues Parlament gewählt, mit Stichwahlen am 29. 1. 2023. Die Parlamentswahlen waren der letzte Schritt der von Präsident Kais Saied im Dezember 2021 proklamierten Road Map". Die Wahlbeteiligung war mit etwas über 11% ausgesprochen niedrig. Grundlage war das neue Wahlgesetz von 2022, das die Rolle der politischen Parteien reduziert und zugleich die Quoten für weibliche und junge (unter 35 Jahren) Abgeordnete abgeschafft hat. Die sehr niedrige Wahlbeteiligung wird verbreitet als Zeichen der Unzufriedenheit mit der politischen und wirtschaftlichen Situation interpretiert.

2. Haushalts, Steuer- und Zollrecht

Das – traditionell wichtige – Haushaltsgesetz 2023 bringt eine Reihe von Änderungen.

So wurde eine neue Grundsteuer eingeführt, deren Wert TND 3 Mio. (ca. EUR 0,6 Mio.) übersteigt und 0,5% des Immobilienwerts per annum beträgt. Die Steuer wird erhoben auf Immobilienbesitz in Tunesien und im Ausland, mit Ausnahme von alsHauptwohnsitz selbstgenutzten Immobilien.

Im Zuge der Maßnahmen zur Reduzierung des Barzahlungsverkehrs wurde eine Steuer von 20% auf Barzahlungen mit einemWert von mehr als TND 5000 eingeführt. DesWeiteren wurde der Umsatzsteuersatz für die Honorare für bestimmte freie Berufe – darunter Anwälte, Notare, Wirtschaftsprüfer und Übersetzer – von 13% auf 19% angehoben.

Zugleich wurden Maßnahmen zur Förderung der grünen Wirtschaft und der Energiewende beschlossen, wie etwa eine Reduzierung der Zölle auf den Import von Ladestationen von E-Autos von 30% auf 10% und eine entsprechende Reduzierung des Umsatzsteuersatzes von 19% auf 7%.

Schließlich wurde es – zeitlich befristet bis Ende 2023 – tunesischen Offshore-Gesellschaften erlaubt, bis zu 50% ihrer Produkte auf dem lokalen Markt zu vertreiben. Die Offshore-Gesellschaften (totalement exportatrice") sind in Tunesien nach tunesischem Recht gegründete Gesellschaften mit einem besonderen steuerlichen Status, die auf den Export ausgerichtet sind. Mindestens 65% des Kapitals der Gesellschaft muss von Ausländern gehalten werden bzw. von Tunesiern, die im Ausland ansässig sind. Das Kapital muss insgesamt aus dem Ausland eingezahlt werden. Üblicherweise dürfen diese Gesellschaften nicht mehr als 20% der Produkte auf dem lokalen Markt verkaufen.

3. Bank- und Finanzrecht

Seit Anfang 2023 wird über neue Devisenregelungen beraten mit dem Ziel einer graduellen Freigabe des Wechselkurses des tunesischen Dinars. Bislang wird der Wechselkurs von der Zentralbank kontrolliert, die im Einzelfall über die Devisenzuteilung für Zahlungen ins Ausland oder die Finanzierung von Importen über Akkreditive entscheidet. Das System wird als intransparent und über-bürokratisch kritisiert. Bislang wurden noch keine Details der geplanten Neuregelung bekannt gegeben

Die Förderung von Start-up-Unternehmen wurde weiter ausgebaut. Den Rechtsrahmen für die Gründung und Förderung von Start-ups bietet Gesetz Nr 20/2018. Im November 2022 hat die KfW gemeinsam mit Smart Capital eine Investition von EUR 20 Mio. in den Anava Seed Fund vereinbart, begleitet von einem Vertrag über technische Zusammenarbeit mit einem Volumen von EUR 4 Mio. Smart Capital ist die Agentur der tunesischen Regierung, die mit dem Start-up Tunesien"-Projekt betraut ist.

Zwei Jahre nach Erlass des Crowd Funding-Gesetzes 2020- 37 wurden am 19. 10. 2022 die entsprechenden Ausführungsbestimmungen erlassen.

  1. Dekret 2022-765 vom 19. 10. 2022 regelt Crowd Investing. Equity-Investitionen über eine Crowd Funding-Plattform dürfen ein Volumen von TDN 1 Mio. pro Investment nicht überschreiten, gestückelt in Einzelinvestitionen von maximal TDN 10 000.
  2. Dekret 2022-766 regelt Crowd Lending. Entsprechende Darlehen können verzinslich oder unverzinslich sein. Der maximale Darlehensbetrag pro Transaktion darf TDN 2 Mio. nicht überschreiten, gestückelt in Einzelinvestitionen von maximal TDN 10 000 im Falle von verzinslichen und TDN 20 000 im Falle von unverzinslichen Darlehen.
  3. Dekret 2022-767 regelt Crowd Funding im engeren Sinne. Der maximale Finanzierungbetrag beträgt TDN 2 Mio. mit Einzelbeiträgen von bis zu TDN 20 000. Dabei kann auch eine Gegenleistung vorgesehen sein, üblicherweise ein Produkt oder eine Dienstleistung des finanzierten Projektes.

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Originally Published by Fachmedien Recht und Wirtschaft

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