Nach Umsetzung der 4. Anti-Geldwäscherichtlinie und Anpassung des Rechtshilfegesetzes hat die liechtensteinische Regierung auch das 2. Zusatzprotokoll zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen (kurz ERHÜ) ratifiziert.

Anwendungsbereich des ERHÜ

Das ERHÜ bildet den ältesten völkerrechtlichen Vertrag, welcher eine Kodifikation von Rechtshilferegeln zum Inhalt hat. In diesem Übereinkommen verpflichten sich die Parteien, einander die größtmögliche gegenseitige Unterstützung bei der Sammlung von Beweisen, Anhörung von Zeugen, Sachverständigen und Beschuldigten zukommen zu lassen.

Das Übereinkommen regelt die Erledigung von Rechtshilfeersuchen durch die Justizbehörden einer Partei ("ersuchte Partei") mit dem Ziel, in Strafsachen, die von den Justizbehörden einer anderen Partei geführt werden ("ersuchende Partei"), Unterlagen und Beweise zu liefern (Anhörung von Zeugen, Sachverständigen und Beschuldigten, Zustellung von Verfahrensurkunden und Gerichtsentscheidungen) oder solche (Akten oder sonstige Unterlagen) zu übermitteln. Das Übereinkommen legt außerdem die Erfordernisse für Rechtshilfeersuchen fest (zuständige Stellen, Sprache, Ablehnungsgründe).

Das Fürstentum Liechtenstein trat dem Abkommen bereits im Jahr 1970 bei. Dass neben allen 47 Mitgliedstaaten des Europarates auch Israel, Chile und Südkorea Vertragsstaaten sind, unterstreicht die internationale Bedeutung dieses Abkommens.

Alter Vertragstext wird angepasst

Mit dem 2. Zusatzprotokoll zum ERHÜ, das dem liechtensteinischen Landtag derzeit zur Genehmigung vorliegt, enthält eine Reihe ergänzender Bestimmungen, die auf Vereinfachung und Straffung der internationalen Rechtshilfeverfahren abzielen.

Die wichtigsten Neuerungen haben wir für Sie zusammengefasst:

 

Verkehrs- und Wirtschaftsdelikte im Fokus

Die wohl wichtigste Neuerung stellt die Einbeziehung von (Verwaltungs-)Übertretungstatbeständen in den Geltungsbereich der ERHÜ dar.

Bisher waren ausschliesslich hängige Strafverfahren bei Justizbehörden Gegenstand des Abkommens. Nunmehr sollen auch strafbare Handlungen, die von einer Verwaltungsbehörde verfolgt werden, einbezogen werden.

Die bisherige Rechtslage wurde von den Vertragsstaaten als unbefriedigend empfunden, da diverse strafbare Handlungen in manchen Staaten als gerichtlich strafbare Handlungen, in anderen Staaten jedoch als Verwaltungsübertretungen geahndet werden und dadurch der Rechtshilfe entzogen waren. Dieser Umstand traf vor allem auf Strassenverkehrsübertretungen und Wirtschaftsdelikte zu.

Die liechtensteinischen Behörden konnten in diesem Zusammenhang bereits positive Erfahrungen bei der Verfolgung von Strassenverkehrsdelikten aufgrund eines bilateralen Abkommens mit Österreich sammeln.

Von der Änderung unberührt bleiben die Verweigerungsgründe bei fiskalisch strafbaren Handlungen. Das in diesem Zusammenhang massgebliche Gesetzeswerk stellt nach wie vor das Rechtshilfegesetz (RHG) dar, welches kürzlich an europarechtliche Vorgaben angepasst wurde.

Informationen zur Anpassung des Rechtshilfegesetzes finden Sie unter: https://www.naegele.law/archiv/regierung-will-verstaerkt-gegen-auslaendische-steuervergehen-vorgehen-und-rechtshilfe-ausweiten

Strafrechtliche Ermittlungen werden erleichtert

Des Weiteren wird es künftig möglich sein, dem ersuchenden Staat inhaftierte Personen zu überstellen, wenn sich diese wegen einer Straftat verantworten muss. Dies betrifft ausschliesslich Überstellungen zu Ermittlungszwecken, beispielsweise polizeiliche Einvernahmen.

Um Abgrenzungsschwierigkeiten mit der Auslieferung zu vermeiden, ist die Zuführung inhaftierter Personen zur Aburteilung ausdrücklich ausgeschlossen. Die Überstellung für Zeugenaussagen bzw. für Gegenüberstellungen in einem Strafverfahren waren bereits zuvor möglich. Bemerkenswert ist, dass die Bestimmung auch auf Nicht-Staatsangehörige der Vertragsparteien anwendbar ist.

Schneller und effizienter

Auch im Sinne der Verfahrensökonomie wird nachgebessert. Ersuchen können nunmehr direkt bei der zuständigen Justizbehörde des ersuchten Staates eingebracht und auf demselben Weg zurückgeleitet werden und müssen nicht mehr über die Justizministerien übermittelt werden. Dasselbe gilt für Verwaltungsbehörden. Zur effektiven Umsetzung sind die teilnehmenden Staaten aufgefordert, eine Liste der Justiz- und Verwaltungsbehörden zu erstellen, die in Zukunft Rechtshilfeersuchen direkt bearbeiten.

Zudem wird die Möglichkeit der Einvernahme per Videokonferenz ermöglicht, wenn das persönliche Erscheinen in einem anderen Staat nicht zweckmässig (zB räumliche Distanz) oder möglich ist.

Von der Regelung umfasst sind Sachverständige und Zeugen, unter gewissen Voraussetzungen auch Verdächtige und Beschuldigte. Voraussetzung für den Einsatz der Videokonferenz ist die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze sowie der Verfahrensrechte der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).

Originally published Naegele, May 2020

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