Die erforderliche Massenentlassungsanzeige kann auch dann wirksam erstattet werden, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt ihres Eingangs bei der Agentur für Arbeit bereits zur Kündigung entschlossen ist. Kündigungen im Massenentlassungsverfahren sind daher wirksam, wenn die Anzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit eingeht, bevor dem Arbeitnehmer das Kündigungsschreiben zugegangen ist.

BAG, Urteil vom 19.02.2019 – 3 AZR 150/18
LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9.5.2019 – 18 Sa 1449/18

Die Beteiligten streiten in beiden Verfahren über die Wirksamkeit einer massenentlassungsanzeigepflichtigen Kündigung. Der jeweilige Arbeitgeber hatte die streitgegenständlichen Kündigungsschreiben bereits unterzeichnet, bevor er die geplante Massenentlassung bei der Agentur für Arbeit anzeigte. Im Anschluss, also nach Eingang der Massenentlassungsanzeige bei der Agentur, erfolgte der Zugang der Kündigungsschreiben bei den klagenden Arbeitnehmern. Die Arbeitnehmer hielten die Kündigungen mangels wirksamer Massenentlassungsanzeige für unwirksam.

Das Landesarbeitsgericht und das BAG entschieden, dass das Vorgehen der Arbeitgeber rechtlich zulässig ist.

Das Verfahren nach § 17 Abs. 1 KSchG sei nicht dazu da, Einfluss auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers zu nehmen. Das Anzeigeverfahren diene beschäftigungspolitischen Zwecken. Die Agentur für Arbeit solle rechtzeitig über eine bevorstehende Massenentlassungsanzeige unterrichtet werden, um sich auf die Entlassung einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern vorzubereiten und ihre Vermittlungsbemühungen darauf einstellen zu können. Dies setzte voraus, dass bereits feststeht, wie viele und welche Arbeitnehmer konkret entlassen werden sollen. Anders als bei dem Erfordernis der Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG oder dem Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG, darf der Arbeitgeber bereits endgültig zur Vornahme der Massenentlassungsanzeige entschlossen sein, bevor er seine Anzeigepflicht nach § 17 Ans. 1 KSchG erfüllt. Maßgeblich sei daher allein, ob vor dem Zugang der Kündigung die Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit eingegangen ist.

Die Frage, ob die Massenentlassungsanzeige vor dem Absenden oder erst vor dem Zugang der Kündigungserklärungen erfolgen müsse, wurde von den Gerichten zuletzt unterschiedlich beurteilt. Die 21. Kammer des LAG Berlin-Brandenburg entschied mit Urteil vom 25.04.2019 – 21 Sa 1534/18, dass das Absenden der Kündigungserklärung der maßgebliche Zeitpunkt sei. Auch das LAG Baden-Württemberg (Vorinstanz zu der hier vorgestellten BAG-Entscheidung) stellte mit Urteil vom 21.08.2018 – 17 Sa 17/18 darauf ab, dass die Massenentlassungsanzeige die Agentur für Arbeit erreichen müsse, bevor der Arbeitgeber die Kündigungsentscheidung träfe. Die 18. Kammer des LAG Berlin-Brandenburg urteilte hingegen, dass es auf den Zugang der Kündigungserklärung ankomme. Mit der Entscheidung des BAG dürfte nun Rechtssicherheit herrschen.

Praxistipp:

Diese Urteile zeigen, dass bei der Abgabe von Massenentlassungsanzeigen stets Sorgfalt geboten ist. Selbst bei formalen Fehlern droht die Unwirksamkeit der Kündigung. Die Massenentlassungsanzeige muss bei der Agentur für Arbeit zugegangen sein, bevor die Kündigung dem Arbeitnehmer zugeht. Um Streitigkeiten zu vermeiden, empfiehlt es sich, zunächst die Eingangsbestätigung der Agentur für Arbeit abzuwarten, bevor die Kündigungen tatsächlich ausgesprochen werden.

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