PROBLEM

In kartellrechtlichen Follow-on-Klagen liefert § 33 Abs. 4 GWB eine wichtige Hilfe, die sog. Bindungswirkung an die Feststellungen der Kartellbehörde bzw. eines Gerichts. Fraglich ist, wie weit diese Bindungswirkung reicht und welche Anforderungen dabei an die Feststellung eines Schadens zu stellen sind.

ZUSAMMENFASSUNG

Mit Urteil vom 12.7.2016 (KZR 25/14, Lottoblock-II) hat sich der BGH damit befasst, wie weit die Bindungswirkung im Kartellverwaltungsverfahren reicht. Gegenstand des Rechtsstreits ist die Klage der gewerblichen Spielvermittlerin SWS (vormals Fluxx) gegen WestLotto auf Ersatz für entgangenen Gewinn wegen Kartellrechtsverstoßes.

In Deutschland ist die Veranstaltung von Lotterien grundsätzlich den Lottogesellschaften der Bundesländer vorbehalten. Diese haben sich im Deutschen Lotto- und Totoblock (DLTB) zusammengeschlossen. Im April 2005 beschloss der Rechtsausschuss des DLTB, Umsätze aus dem terrestrischen Vertrieb gewerblicher Spielvermittler zurückzuweisen. Daraufhin weigerten sich die Lottogesellschaften, Tippscheine der Klägerin aus dem stationären Vertrieb, z. B. über Supermärkte und Tankstellen, entgegenzunehmen. Auf Grund des Boykottaufrufs leitete das Bundeskartellamt ein Missbrauchsverfahren ein. Im August 2006 verfügte das Amt mit sofortiger Abstellungsverfügung, dass die Empfehlung des Rechtsausschusses gegen Kartellrecht verstieß und die Aufforderung abzustellen war. Gleichzeitig wurde dem DLTB und den 17 Lottogesellschaften untersagt, diese Aufforderung weiter umzusetzen und sich daran zu halten. Die Kartellamtsverfügung wurde im Wesentlichen vom OLG und BGH bestätigt. Die Klägerin verlangte Ersatz für entgangenen Gewinn in den Jahren 2006 bis 2008, mindestens jedoch 8,25 Mio. Euro zzgl. Zinsen. Das LG Dortmund hat die Klage abgewiesen. Das OLG Düsseldorf sprach der Klägerin einen Betrag i. H. v. 11,5 Mio. Euro zzgl. Zinsen zu.

Diese Entscheidung hat der BGH nun aufgehoben und an das OLG zurückverwiesen, teilweise aber auch dem Grunde nach bestätigt. Der BGH bemängelt, dass das OLG bei der Berechnung des Schadensersatzes nicht alle Umstände ausreichend gewürdigt hat. Neben der Feststellung, wie lange der kartellrechtswidrige Zustand bestanden hat, hätte das Berufungsgericht auch berücksichtigen müssen, dass die Umsätze der Lottogesellschaften im maßgeblichen Zeitraum zurückgegangen waren und es in mehreren Bundesländern neue Provisionsverbote gegeben hat.

Hinsichtlich der Dauer des Kartellverstoßes stellt der BGH fest, dass die Bindungswirkung des § 33 Abs. 4 GWB zu weit ausgelegt wurde. Lediglich Bußgeldentscheidungen enthalten regelmäßig Feststellungen zur Dauer eines Kartellverstoßes, was im Kartellverwaltungsverfahren nicht notwendigerweise der Fall ist. Andererseits durfte das OLG aber auch annehmen, dass sich die Verhaltensabstimmung bis 2008 ausgewirkt hat. Bei einem punktuellen Kartellrechtsverstoß, dessen Auswirkungen potentiell zeitlich unbeschränkt sind, lässt die Zustellung einer sofort vollziehbaren Abstellungsverfügung für sich allein die Vermutung einer andauernden Bestimmung oder Beeinflussung des Marktgeschehens durch die Verhaltenskoordination regelmäßig nicht entfallen. Für die Widerlegung dieser Vermutung wäre es erforderlich, dass sich ein am Verstoß beteiligtes Unternehmen offen und eindeutig von der Abstimmung distanziert, was im vorliegenden Fall nicht ersichtlich war. Ferner steht für die Frage, ob und in welcher Höhe der Klägerin ein Schaden entstanden ist, die Beweiserleichterung des § 287 Abs. 1 ZPO zur Verfügung. Dabei gewährt § 252 S. 2 BGB der Klägerin eine ergänzende Beweiserleichterung in Form einer widerlegbaren Vermutung. Bei Prüfung dieser Frage hat das OLG nicht alle erheblichen Umstände berücksichtigt. Dem BGH erscheint es möglich, dass die Lottogesellschaften trotz bestehender Anreize für eine Zusammenarbeit mit der Klägerin auch ohne kartellrechtswidrige Abstimmung bei autonomer unternehmerischer Entscheidung nicht oder nur zögernd und in geringerem als von der Klägerin geplanten Umfang Vermittlungsverträge mit der Klägerin abgeschlossen und Provisionen an sie gezahlt hätten.

PRAXISFOLGEN

Für die Praxis ist das Urteil von großer Bedeutung. Obwohl es geeignet ist, die zugesprochene Summe im konkreten Fall zu reduzieren, wird es sich tendenziell zugunsten von Geschädigten auswirken. Für den Umfang der Bindungswirkung wurde klargestellt, dass es bei Feststellungen des Kartellrechtsverstoßes allein auf den Tenor und die tragenden Gründe der Entscheidung des Gerichts oder der Kartellbehörde ankommt. Grundsätzlich richtig sind insoweit die Ausführungen zur Bindungswirkung und der Dauer des Verstoßes sowie die Unterscheidung zwischen Bußgeld- und Verwaltungsverfahren. Allerdings darf dabei auch nicht übersehen werden, dass ein kartellrechtswidriges Dauerverhalten durch eine Durchsuchung ebenfalls regelmäßig nicht geändert und unterbrochen wird. Auch bei Preisabsprachen kommt es vor, dass etwa lang andauernde Lieferbeziehungen beeinflusst wurden. In diesen Fällen wird ebenfalls eine Vermutung naheliegen, dass die Fortsetzung des kartellrechtswidrigen Verhaltens nach einer Dursuchung andauert, so dass dieselben Grundätze gelten könnten. Bemerkenswert klägerfreundlich ist zudem die Anwendung des § 287 ZPO im Zusammenhang mit der Frage, ob" ein Schaden entstanden ist.

Hinsichtlich einer Zäsur bleibt es bei der strikten Haltung, dass sich ein am Kartell beteiligtes Unternehmen offen und eindeutig von einer Abstimmung oder Absprache distanzieren muss, was den anderen Teilnehmern bewusst werden muss.

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