Das revidierte, modernisierte Schweizer Erbrecht ist am 1. Januar 2023 in Kraft getreten. Die Revision hat wichtige praktische Auswirkungen – auch in Bezug auf bestehende Erbverträge und Testamente.

ÜBERSICHT

Das bis Ende 2022 geltende Schweizer Erbrecht war über ein Jahrhundert alt und seit seiner Entstehung im Jahr 1907 in den Grundzügen unverändert in Kraft. Gesellschaftliche Entwicklungen – so etwa die Akzeptanz neuer Familienmodelle und Lebensformen oder die Schaffung von Sozialwerken zwecks Absicherung der älteren Generation - haben die Anforderungen an die Möglichkeiten der Nachlassplanung grundlegend verändert und den Gesetzgeber dazu bewogen, das Erbrecht entsprechend anzupassen.

Im Zentrum des revidierten Erbrechts steht die grössere Verfügungsfreiheit des Erblassers. Sie ergibt sich aus einer Anpassung der sogenannten Pflichtteile. Diese Mindestquoten am Nachlass, die das Gesetz bestimmten Erben zusichert, sind im neuen Recht reduziert oder aufgehoben, sodass der Erblasser über einen grösseren Teil seines Vermögens frei verfügen kann. So reduziert das revidierte Erbrecht etwa den Pflichtteil von Nachkommen oder es sieht vor, dass für Ehegatten während eines laufenden Scheidungsverfahrens keine gegenseitigen Pflichtteilsansprüche mehr bestehen.

Die Erbrechtsrevision bot auch Gelegenheit, einige technische Fragen zu klären. Der Bundesrat entschied jedoch, diese Fragen separat zu behandeln. Ebenso beschloss der Bundesrat, die Reform des schweizerischen Erbrechts bezüglich der Nachfolge in Familienunternehmen in einer separaten Revision anzugehen. Beide Gesetzgebungsprojekte sind derzeit in Bearbeitung; der Bundesrat hat am 10. Juni 2022 einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der sich auf die Erleichterung der Unternehmensnachfolge konzentriert. Die neuen Bestimmungen sind aktuell Gegenstand parlamentarischer Beratungen, so dass die daraus resultierenden Änderungen erst in den kommenden Jahren in Kraft treten dürften.

REDUKTION DER PFLICHTTEILE

Die gesetzlichen Erbteile, das heisst jene Quoten am Nachlass, die einem Erben zustehen, wenn der Erblasser keine testamentarische oder erbvertragliche Anordnung getroffen hat (sog. Intestaterbfolge), beliess die Erbrechtsrevision unverändert. Die gesetzlichen Erbteile bilden jedoch die Grundlage für die Berechnung der Pflichtteile. Diese wiederum hat das neue Erbrecht wie folgt angepasst:

Nach dem bisher geltenden Recht hatten die Nachkommen, der überlebende Ehegatte oder eingetragene Partner und, wenn Nachkommen fehlten, die Eltern eines Verstorbenen einen Pflichtteilsanspruch.

Der Pflichtteil der Nachkommen betrug nach altem Erbrecht drei Viertel (3/4) ihres gesetzlichen Erbteils. Seit dem 1. Januar 2023 beträgt der Pflichtteil der Nachkommen nun nur noch die Hälfte (1/2) ihres gesetzlichen Erbteils. Der gesetzliche Erbteil von Nachkommen blieb in der Erbrechtsrevision unverändert. Er ist davon abhängig, ob der Erblasser verheiratet war und wie viele Nachkommen er hinterlässt.

Für den überlebenden Ehegatten oder eingetragenen Partner bleibt der Pflichtteil im neuen Erbrecht unverändert. Er beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Dieser wiederum hängt davon ab, ob der Erblasser nebst dem überlebenden Ehegatten oder eingetragenen Partner direkte Nachkommen hinterlässt oder ob Verwandte im elterlichen Stamm des Erblassers vorhanden sind.

Den Eltern eines Verstorbenen stand nach dem bisher geltenden Erbrecht ein Pflichtteil in Höhe von der Hälfte (1/2) ihres gesetzlichen Erbteils zu, sofern der Erblasser keine Nachkommen hinterliess. Die Erbrechtsrevision hat diesen Pflichtteil der älteren Generation vollständig abgeschafft und die Verfügungsfreiheit kinderloser Erblasser entsprechend erhöht.

Zusammenfassend und vereinfacht ausgedrückt haben Nachkommen sowie Ehegatten und eingetragene Partner seit 2023 einen einheitlichen Pflichtteilsanspruch in Höhe von der Hälfte (1/2) ihres gesetzlichen Erbteils, was sich aus der Reduktion des Pflichtteils der Nachkommen von drei Vierteln (3/4) auf die Hälfte (1/2) ergibt, während Ehegatten und eingetragenen Partnern weiterhin die Hälfte (1/2) ihres gesetzlichen Erbteils zusteht. Das Beispiel (s. Box) und die nachfolgenden Abbildungen dienen der weiteren Veranschaulichung der veränderten Rechtslage.

Beispiel: Eine Erblasserin hinterlässt zwei Nachkommen (A und B) und ihren Ehegatten. Ihr gesamter Nachlass besteht aus flüssigen Mitteln in Höhe von CHF 1'000'000. Nach dem alten Pflichtteilsrecht hätte der überlebende Ehegatte Anspruch auf CHF 250'000, A und B auf CHF 375'000 (je CHF 187'500). Die Erblasserin wäre frei gewesen, über die restlichen CHF 375'000 zugunsten ihres Ehegatten und ihrer Kinder zu verfügen oder sie einem Dritten (z.B. einer gemeinnützigen Organisation) zukommen zu lassen. Nach neuem Recht hätte der überlebende Ehegatte weiterhin Anspruch auf einen Pflichtteil in Höhe von CHF 250'000, während A und B neu nur noch Anspruch auf CHF 250'000 (je CHF 125'000) hätten. Nach neuem Recht kann die Erblasserin in diesem Beispiel somit über CHF 500'000 frei verfügen.

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