Das Bundesgericht bestätigte im November 2014 die Missbräuchlickeit einer Kündigung eines 59-jährigen Arbeitnehmers mit elf Dienstjahren. Die Missbräuchlichkeit wurde dabei vorwiegend im Umstand erblickt, dass der Arbeitnehmer 59 Jahre alt war und elf Dienstjahre hatte. Dieser Fall ist kein klassischer Fall einer missbräuchlichen Kündigung. Er steht aber als prominentes Beispiel für eine stetige richterliche Weiterentwicklung der Rechtslage betreffend die missbräuchliche Kündigung. Dabei ist zu erkennen, dass nicht selten im Zweifel für die Missbräuchlichkeit und damit gegen die kündigende Partei entschieden wird. Diese GUIDELINES thematisieren die gesetzlichen Grundlagen missbräuchlicher Kündigungen sowie deren Anwendung und Weiterentwicklung durch die Gerichte.

Einleitung

Im  schweizerischen  Arbeitsrecht  gilt  das  Prinzip der  Kündigungsfreiheit.  Es  muss  kein  bestimmter Grund vorliegen oder geltend gemacht werden, um ein Arbeitsverhältnis zu beenden. Als Korrektiv zu dieser sehr liberalen Kündigungspolitik hat der Gesetzgeber* jedoch bestimmte Beendigungsgründe als missbräuchlich qualifiziert. Diesbezüglich ist zentral: Aucheinemissbräuchlichausge-sprocheneKündigungistgrundsätzlichgültigunddamitrechtswirksam.Als  Rechtsfolge  der  Missbräuchlichkeit  sieht  das  Gesetz  jedoch  eine  Entschädigungspflicht in Form einer Strafzahlung vor. Die gesetzliche Aufzählung der Missbrauchstatbestände  ist  nicht  abschliessend.  Die  Gerichtspraxis hat denn auch in den letzten Jahren in Weiterentwicklung der gesetzlichen Prinzipien weitere Missbrauchstatbestände definiert. Dabei ist eine Entwicklung weg vom Wortlaut des Gesetzes zubeobachten:  Die  traditionellen  Missbrauchstatbestände  wie  zum  Beispiel  eine  Kündigung  wegen Ausübung eines verfassungsmässigen Rechts sind  dabei  in  der  Praxis  in  den  Hintergrund  getreten. Dafür hat die Rechtsprechung unter anderem den im Gesetz nicht explizit vorgesehenen, inhaltlich vagen Missbrauchstatbestand der «Art und Weise» der Ausübung des Kündigungsrechts entwickelt. Demgemäss kann also bereits die Art und Weise,  wie  die  Kündigung  ausgesprochen  wird, diese missbräuchlich machen. Ausgehend von den gesetzlichen Grundlagen beschreiben diese GUIDELINES zwei Fallgruppen dieser «aussergesetzlichen» Missbrauchstatbestände.

Gesetzliche Grundlagen

In  Konkretisierung  des  allgemeinen  Rechtsmissbrauchsverbots  nennt  das  Gesetz  einzelne  Missbrauchstatbestände in Art. 336 des Obligationenrechts («OR»). Eine Kündigung, welche wegen derist missbräuchlich. Es sind dies die folgenden:

  • Kündigung wegen einer Eigenschaft, die einer Personkraftihrer Persönlichkeitzusteht:

    Hier  geht  es  um  Kündigungen  wegen  persönlicher  Eigenschaften  wie  Herkunft,  Religion, Nationalität,  sexuelle  Orientierung,  Alter  oder Gesundheitszustand.   Steht   die   betreffende Eigenschaft in einem Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis oder beeinträchtigt sie die Zusammenarbeit, ist die Kündigung aber trotz des an sich verpönten Motivs nicht missbräuchlich. Die  Grenzziehung  zwischen  z. B.  einer  gerechtfertigten Kündigung infolge altersbedingter Leistungseinbusse und einer altersdiskriminierenden Kündigung ist im Einzelfall jedoch schwierig.

  • KündigungwegenAusübungeinesverfassungs-mässigenRechts:

    Unter  verfassungsmässigen  Rechten  sind  die Grundrechte der Bundesverfassung, der Kantonsverfassungen  und  der  Europäischen  Menschenrechtskonvention zu verstehen. So kann z. B. eine Kündigung wegen sichtbaren Tragens eines Glaubensbekenntnisses missbräuchlich sein.

  • Kündigung zur Vereitelung von Ansprüchen aus demArbeitsverhältnis:

    Bei der sog. Vereitelungskündigung handelt es sich um eine Kündigung, die ausgesprochen wird, um das Entstehen von Ansprüchen des Arbeitnehmers zu vereiteln. In Frage kommen dabei insbesondere Ansprüche auf Gratifikation, Treueprämie oder Abgangsentschädigung, die bei Weiterführung des Arbeitsverhältnisses in naher Zukunft entstehen würden.

  • Kündigung, weil die andere Partei nach Treu und Glauben Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis geltendmacht:

    Eine solche Kündigung wird auch als Rachekündigung bezeichnet. Dahinter steckt die Überlegung, dass eine Partei – in der Regel der Arbeitnehmer – ihr zustehende Rechte geltend machen soll, ohne die Konsequenz einer Kündigung tragen  zu  müssen.  Eine  mit  der  Rachekündigung verwandte Spezialregelung findet sich in Art. 10 des Gleichstellungsgesetzes («GIG»). Im Gegensatz zur Rachekündigung kommt die Bestimmung des GlG aber nur zur Anwendung, wenn die Kündigung  im  Nachgang  eines  Beschwerdeverfahrens über eine Diskriminierung ergeht (zur speziellen Rechtsfolge dieses Anwendungsfalls siehe sogleich).

  • KündigungwegenErfüllunggesetzlicherPflichten: Eine Kündigung ist missbräuchlich, wenn sie ausgesprochen wird, weil die andere Partei schweizerischen obligatorischen Militäroder Zivildienst leistet oder eine nicht freiwillig übernommene gesetzliche Pflicht erfüllt. Aufgrund der bilateralen Verträge mit der EU können sich auch EUAusländer im Zusammenhang mit einem allfälligen Heimatwehrdienst auf diesen Grund berufen.
  • KündigungwegenGewerkschaftszugehörigkeit;KündigungeinesgewähltenArbeitnehmerver-treters:

    Hier gilt die Kündigung als missbräuchlich, wenn sie erfolgt, weil der Arbeitnehmer einem Arbeitnehmerverband  angehört  oder  nicht  angehört oder  weil  er  eine  gewerkschaftliche  Tätigkeit rechtmässig  ausübt.  Rechtmässige  Aktivitäten sind etwa die Teilnahme an der Organisation und Durchführung  eines  rechtmässigen  Streiks  sowie das Anwerben neuer Mitglieder. Stets missbräuchlich ist sodann eine Kündigung gegenüber einem  Arbeitnehmer,  solange  dieser  gewählter Arbeitnehmervertreter in einer betrieblichen oder dem  Unternehmen  angeschlossenen  Einrichtung ist.

  • MissbräuchlicheMassenentlassung:

    Eine im Rahmen einer Massenentlassung ausgesprochene  Kündigung  ist  dann  missbräuchlich, wenn  die  Vorschriften  über die  Massenentlassung nicht eingehalten wurden.

Im  jeweiligen  Fall  bestehen  nicht  selten  neben missbräuchlichen  auch  zulässige  Kündigungsgründe (z. B. schlechte Leistung). Damit die Kündigung als missbräuchlich gilt, ist es jedoch nicht erforderlich, dass der missbräuchliche Grund alleiniges Motiv der Kündigung war. Das verpönte Motiv muss für die Kündigung aber ursächlich sein. Zur Beurteilung der Missbräuchlichkeit einer Kündigung ist grundsätzlich der Zeitpunkt ihrer Begründung massgeblich.

Wie eingangs erwähnt, ist der Arbeitgeber anlässlich der Kündigung nicht verpflichtet, den Grund der Kündigung mitzuteilen. Die gekündigte Partei hat aber Anspruch auf eine schriftliche Begründung der Kündigung. Damit soll der Arbeitnehmer erfahren können, ob die Kündigung allfällig missbräuchlich ausgesprochen wurde. In der Praxis stellt das Begründungsbegehren denn auch oft den Auftakt für eine arbeitsrechtliche Auseinandersetzung dar.

Die gesetzlichen angeführten Gründe sind nicht abschliessend, eine Kündigung aus einem ähnlichen schweren Grund ist ebenfalls missbräuchlich.

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Footnotes

*Im Interesse der einfacheren Lesbarkeit wurde durchgehend die männliche Geschlechtsform verwendet.

The content of this article is intended to provide a general guide to the subject matter. Specialist advice should be sought about your specific circumstances.