1. Was bedeutet die Fürsorgepflicht in der aktuellen Situation?

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer alle erforderlichen und geeigneten Massnahmen zu treffen. Die Grenze der Schutzpflicht ist das wirtschaftlich Zumutbare und technisch Mögliche.

In der aktuellen Situation geht die Fürsorgepflicht sicherlich weiter als sonst. Arbeitgeber sind gut beraten, wenn sie die behördlichen Empfehlungen umsetzen und auf die gesundheitlichen Anliegen der Arbeitnehmer möglichst Rücksicht nehmen.

2. Zu welchen konkreten Massnahmen sind Arbeitgeber verpflichtet?

In der aktuellen Situation haben Arbeitgeber für soziale Distanz zu sorgen (Abstandsregel) sowie ausreichend Flüssigseife und Einwegtücher für das Händewaschen zur Verfügung zu stellen. Betriebe lassen auch vermehrt die Kontaktoberflächen wie Türgriffe an Aussentüren und bei den sanitären Einrichtungen reinigen.

Betreffend besonders gefährdete Arbeitnehmende sind Arbeitgeber verpflichtet, die Möglichkeiten für Arbeit im Homeoffice auszuschöpfen und dazu die geeigneten organisatorischen und technischen Massnahmen zu ergreifen (Art. 10c Abs. 1 und 2 COVID-19-Verordnung 2).

In einem späteren Verlauf der Epidemie sind drastischere Massnahmen denkbar, wobei jedoch stets die Verhältnismässigkeit gewahrt werden muss. Die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen dürfen gerade in aussergewöhnlichen Zeiten nicht vergessen werden.

3. Wie sollen kleinere Unternehmen mit der aktuellen Situation umgehen?

Kleineren Unternehmen ist zu empfehlen, täglich die Webseiten des Bundesamtes für Gesundheit BAG und der kantonalen Stellen zu konsultieren. Die behördlichen Empfehlungen zeigen konkret auf, wie in der aktuellen Situation vorgegangen werden soll.

Die empfohlenen Massnahmen können in einem gewissen Mass an die jeweiligen Verhältnisse im Betrieb angepasst werden. Was für ein Grossunternehmen unerlässlich sein kann, muss in einem Kleinbetrieb nicht zwingend richtig sein.

4. Müssen durch das Coronavirus besonders gefährdete Personen zu Hause im Homeoffice arbeiten?

Ist Arbeit im Homeoffice aus technischen oder organisatorischen Gründen nicht möglich oder können Arbeitstätigkeiten aufgrund der Art der Tätigkeit nur am üblichen Arbeitsort erbracht werden, müssen besonders gefährdete Personen, die arbeitsfähig sind, grundsätzlich zur Arbeit erscheinen (Art. 10c Abs. 1 und 2 COVID-19-Verordnung 2).

Der Arbeitgeber ist in solchen Fällen verpflichtet, für die Einhaltung der Empfehlungen des Bundes betreffend Hygiene und sozialer Distanz zu sorgen. Können die Empfehlungen nicht eingehalten werden, muss der Arbeitgeber besonders gefährdete Personen unter Lohnfortzahlung beurlauben (Art. 10c Abs. 3 COVID-19-Verordnung 2).

5. Was müssen Arbeitnehmer tun, um sich und andere Mitarbeitende bei der Arbeit zu schützen?

Arbeitnehmer sind dazu verpflichtet, die konkreten Massnahmen im Betrieb umzusetzen. Sie müssen insbesondere die Hygieneregeln einhalten und sollten ihre Mitarbeiter nicht unnötig gefährden. Dazu gehört auch, den Arbeitgeber umgehend zu informieren, wenn Fieber oder andere Krankheitssymptome auftreten. Durchhalten bis Arbeitsschluss ist in der aktuellen Situation keine gute Idee.

Das Arbeitsgesetz schreibt Arbeitnehmenden vor, bei der Umsetzung des Gesundheitsschutzes mitzuwirken. Aufgrund der Treuepflicht sind Arbeitnehmende überdies verpflichtet, den rechtmässigen Weisungen des Arbeitgebers Folge zu leisten.

6. Haben Mitarbeitende das Recht, aus Angst vor einer möglichen Ansteckung nicht mehr ins Büro zu kommen und ihre Arbeit von zu Hause zu erledigen?

Grundsätzlich kann der Arbeitgeber verlangen, dass der Arbeitnehmer im Büro erscheint und dort seine Arbeit verrichtet. In der aktuellen Situation sollte jedoch der Dialog gesucht werden. Kann die Arbeit von zu Hause aus problemlos und ohne Mehrkosten erledigt werden, sollte das Homeoffice auf Wunsch des Arbeitnehmers ernsthaft in Betracht gezogen werden.

Die Art der Arbeitstätigkeiten und die betrieblichen Möglichkeiten können dazu führen, dass Arbeitsleistungen nur am üblichen Arbeitsort erbracht werden können. Homeoffice stellt in vielen Berufen keine Option dar. Die Kassiererin muss hinter der Kasse sitzen, damit sie den Lebensmitteleinkauf des Kunden abrechnen und einkassieren kann. Ähnliches gilt für Bauarbeiter, Spediteure, die Pflegeberufe usw. In solchen Fällen sind gesunde, arbeitsfähige Arbeitnehmende nicht berechtigt, aus Angst vor einer Ansteckung mit COVID-19 dem Arbeitsplatz fernzubleiben.

Anders ist es unseres Erachtens, wenn der Arbeitnehmer zu einer Gruppe mit erhöhtem Risiko gehört, welche einen schweren Krankheitsverlauf nach einer Infektion mit COVID-19 wahrscheinlich erscheinen lassen. Dies trifft aktuell zum Beispiel zu, wenn eine ältere Person bereits an einer anderen chronischen Krankheit leidet und deshalb geschwächt ist. Bleiben solche Arbeitnehmer aus Angst vor einer Ansteckung der Arbeit fern, wäre dies wohl als unverschuldete, persönliche Arbeitsverhinderung zu beurteilen.

7. Darf der Arbeitgeber aufgrund der Corona-Pandemie kurzfristig Zwangsferien anordnen?

Grundsätzlich kann ein Arbeitgeber aus wirtschaftlichen oder betrieblichen Gründen Zwangsferien anordnen, wenn ansonsten das Unternehmen in ernsthafte Schwierigkeiten geraten würde.

Fraglich ist, mit welcher Vorlaufzeit Zwangsferien aufgrund einer Pandemie einseitig angeordnet werden können. Einigkeit dürfte darin bestehen, dass der Arbeitgeber unter Einhaltung einer Ankündigungsfrist von 12 Wochen (3 Monate) Zwangsferien anordnen darf. Gesamtarbeitsverträge oder Individualarbeitsverträge sehen teilweise andere Ankündigungsfristen vor, die zu beachten sind.

Teilweise wird die Meinung vertreten, die Ankündigungsfrist könne in der aktuell ausserordentlichen Lage auf bis zu zwei Wochen verkürzt werden. Wir erachten diese Rechtsposition als risikobehaftet, da dazu keine gefestigte Gerichtspraxis besteht.

Ordnet der Arbeitgeber Ferien unter Missachtung der erforderlichen Ankündigungsfrist an, ist der Arbeitnehmer berechtigt, den Ferienbezug zu verweigern. Mit anderen Worten müsste der Lohn bezahlt werden, ohne dass sich das Ferienguthaben verringert.

8. Kann der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber verlangen, dass bereits vereinbarte Ferien zu einem späteren Zeitpunkt bezogen werden?

Der Arbeitgeber bestimmt den Zeitpunkt der Ferien und nimmt dabei auf die Wünsche des Arbeitnehmers soweit Rücksicht, als dies mit den Interessen des Betriebes vereinbar ist.

Wurde der Zeitpunkt des Ferienbezuges durch den Arbeitgeber genehmigt, können die Ferien nur noch mit dessen Einverständnis verschoben werden. Dies ist indessen anders, wenn der Arbeitnehmer vor Ferienantritt erkrankt oder verunfallt. Der Erholungszweck der Ferien könnte in solchen Fällen nicht erreicht werden, weshalb nach der Genesung des Arbeitnehmers neue Ferien anzusetzen sind.

Die gegenwärtige Pandemiesituation steht einem Ferienbezug grundsätzlich nicht entgegen. Auch wer eine gebuchte Reise nicht antreten kann und sich deshalb zu Hause aufhalten muss, kann sich von den Anstrengungen des Arbeitslebens erholen. Die Annullierung einer bereits gebuchten Reise fällt nicht ins Risiko des Arbeitgebers.

9. Kann der Arbeitgeber die Kompensation von Überstunden anordnen?

Sieht der Arbeitsvertrag oder ein vereinbartes Reglement die Möglichkeit zur Kompensation von Überstunden durch Gewährung von Freizeit vor, kann der Arbeitgeber die Kompensation einseitig anordnen. Eine besondere Ankündigungsfrist muss dabei – anders als bei Zwangsferien – nicht beachtet werden. Die Kompensation geleisteter Überstunden durch Freizeit setzt aber voraus, dass der Arbeitnehmer arbeitsfähig ist.

Ohne vertragliche Regelung setzt die Kompensation von Überstunden durch Freizeit die Zustimmung des Arbeitnehmers voraus. In der aktuell ausserordentlichen Lage würde sich ein Arbeitnehmer jedoch unseres Erachtens rechtsmissbräuchlich verhalten und gegen die Treuepflicht verstossen, wenn er sein Einverständnis zur Kompensation angehäufter Überstunden verweigern würde.

10. Dürfen Arbeitgeber anordnen, dass Mitarbeitende ihre Arbeit im Homeoffice verrichten?

Das Arbeitsgesetz verpflichtet die Arbeitnehmer, den Arbeitgeber bei der Umsetzung des Gesundheitsschutzes zu unterstützen. Viele Arbeitsrechtler halten es daher in der aktuellen Situation für zulässig, zum Schutz der Mitarbeiter Ar beit im Homeoffice anzuordnen, auch wenn dies im Arbeitsvertrag nicht ausdrücklich vorgesehen ist.

ARBEITSRECHT UND COVID-19 (STAND 28. MÄRZ 2020)

The content of this article is intended to provide a general guide to the subject matter. Specialist advice should be sought about your specific circumstances.