Der Ausbruch des neuartigen Coronavirus (auch bekannt als COVID19) zeigt seit Auftreten der ersten Fälle verheerende Auswirkungen. Bis zum 10. März 2020 wurden weltweit offiziell knapp 115.000 Ansteckungen mit dem Virus in 110 Ländern verzeichnet. Die Zahl der Todesfälle ist auf über 4.000 gestiegen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat inzwischen das Risiko einer weltweiten Verbreitung des Virus als sehr hoch eingestuft. Die Schwere des Ausbruchs in Verbindung mit den Auswirkungen von staatlichen Schutzmaßnahmen, die von einer Reihe von Regierungen implementiert wurden, hat erhebliche Störungen im täglichen Leben und in internationalen Lieferketten verursacht. Das wirft eine Vielzahl von rechtlichen Fragen auf, von denen einige hier kurz besprochen werden sollen:

- Können sich Unternehmen, die als Folge der Epidemie nicht in der Lage sind, ihre vertraglichen Pflichten zu erfüllen, auf höhere Gewalt berufen?

- Auch laufende Unternehmenstransaktionen können beeinträchtigt werden. Welche Rechte bestehen typischerweise, wenn die zu übernehmende Gesellschaft aufgrund der Epidemie plötzliche Ertragseinbrüche erleidet?

- Zudem steht die Hauptversammlungssaison bevor: Wie können Publikumsgesellschaften reagieren, wenn die Durchführungen von Großveranstaltungen nicht mehr möglich sein sollte?

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Das Rechtsinstitut höhere Gewalt"

Das deutsche Recht kennt außerhalb von Spezialgebieten wie etwa dem Reiserecht oder Straßenverkehrsrecht keine allgemeinen Regelungen für Fälle wie Naturkatastrophen oder Epidemien. Demnach muss im schuldrechtlichen Kontext auf die Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB") oder vereinbarte vertragliche Bestimmungen zurückgegriffen werden.

Besteht ein Leistungshindernis, das die Erfüllung der vertraglich geschuldeten Pflicht unmöglich macht, entfällt diese Pflicht für die Dauer des Hindernisses (§ 275 Abs. 1 BGB). Eine sogenannte echte Unmöglichkeit" liegt aber nur vor, wenn dem Schuldner keine alternative Möglichkeit zur Verfügung steht, seine Pflicht zu erfüllen. Im Rahmen des § 275 Abs. 1 BGB spielen die dabei gegebenenfalls auftretenden Mehrkosten keine Rolle. Ist es dem Schuldner grundsätzlich objektiv möglich, seine Pflicht zu erfüllen (ggf. auch mit Mehraufwand), liegt keine Unmöglichkeit vor. Angewendet auf die derzeitige Situation bedeutet dies: Solange der Partei die Möglichkeit offensteht, etwa die geschuldete Kaufsache, die aufgrund der Epidemie nicht geliefert werden kann, auf anderem Wege zu beschaffen, z.B. durch Deckungskäufe bei einem anderen Lieferanten (ggf. auch bei einem Konkurrenten aus einem anderen Land), scheidet die echte Unmöglichkeit aus.

Abzugrenzen von der echten Unmöglichkeit ist die praktische Unmöglichkeit" gemäß § 275 Abs. 2 BGB, welche dadurch gekennzeichnet ist, dass die Leistung zwar noch möglich, dem Schuldner aber nicht zumutbar ist. Schulbeispiel ist insoweit der auf den Grund des Sees gefallene Ring. Dieser könnte zwar objektiv wiederbeschafft werden, jedoch wären die Kosten hierfür unverhältnismäßig hoch. In so einem Fall dürfte der Schuldner die geforderte Leistung verweigern. Nicht unter § 275 Abs. 2 BGB fallen allerdings Sachverhalte, in denen sich die Leistung des Schuldners lediglich unterhalb der Schwelle eines unmöglichkeitsähnlichen Ausmaßes" verteuert.

Unter bestimmten Voraussetzungen können sich die Vertragsparteien aber gegebenenfalls auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) berufen. Voraussetzung hierfür ist, dass sich die bei Vertragsschluss von beiden Parteien gleichermaßen zugrunde gelegte Situation nachträglich so stark verändert, dass einer der Parteien das Festhalten am Vertrag nicht mehr zuzumuten ist. Zu beachten ist jedoch, dass dies nicht gilt, wenn die veränderten Umstände – durch gesetzliche Regelung oder vertragliche Vereinbarung – allein dem Risikobereich einer Partei zuzuordnen sind. Dies ist grundsätzlich der Fall bei Problemen mit der Beschaffung der Kaufsache innerhalb eines Liefervertrags: Sie fallen in den ausschließlichen Risikobereich des Verkäufers, sodass er sich häufig nicht auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage wird berufen können. Gerichte stellen regelmäßig sehr hohe Anforderungen an den Wegfall der Geschäftsgrundlage und haben sie in der Vergangenheit etwa bei einem dauerhaften Lieferembargo als erfüllt angesehen. Wenn die Voraussetzungen vorliegen, kann primär die Anpassung des Vertrags verlangt werden. Ist dies nicht möglich oder der anderen Partei nicht zumutbar, kann die benachteiligte Vertragspartei zurücktreten oder – bei Dauerschuldverhältnissen – kündigen.

Force-majeure-Klauseln

Neben den Regeln des BGB finden sich in Verträgen häufig Force-majeure-Klauseln, mit denen vertragliche Erfüllungspflichten oder die Haftung in Fällen höherer Gewalt ausgeschlossen werden. Ob ein deutsches Gericht oder ein Schiedsgericht bei durch das Coronavirus verursachten Leistungshindernissen von höherer Gewalt" im Sinne dieser Klausel ausgehen wird, wird stark vom Einzelfall und der spezifischen Formulierung der Vertragsklausel abhängen. Indizien für das Vorliegen höherer Gewalt können neben offiziellen Äußerungen der WHO und Reisewarnungen des Auswärtigen Amts etwa auch staatliche Schutzmaßnahmen wie Embargos sein. Das AG Augsburg hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 2004 (Urteil vom 09. November 2004 – 14 C 4608/03) beispielsweise den Ausbruch des SARS-Virus als höhere Gewalt im Sinne des Reiserechts klassifiziert.

Im Falle des neuen Coronavirus gibt es bislang Warnungen und Empfehlungen des Auswärtigen Amtes und der WHO sowie verschiedene Maßnahmen der staatlichen Behörden, welche die wirtschaftliche Aktivität einschränken. Das neue Coronavirus könnte daher in Verbindung mit den offiziellen Maßnahmen ein mit dem SARS-Virus vergleichbares Ereignis sein, sofern dies zu Einschränkungen einer Partei führt.

Ein Fall von höherer Gewalt liegt jedoch regelmäßig nur dann vor, wenn das Leistungshindernis unvermeidbar ist, d.h. nicht durch angemessene Maßnahmen beseitigt werden kann. Die Angemessenheit ist unter anderem durch eine Interessenabwägung im Einzelfall zu ermitteln.

Zur Vermeidung eines Leistungshindernisses kann von einem Lieferanten regelmäßig ein finanzieller Mehraufwand erwartet werden. Beispielsweise kann der Rückgriff auf alternative Transportmittel verlangt werden, selbst wenn dies für den Lieferanten mit hohen Verlusten verbunden ist. Der Käufer kann vom Lieferanten im Rahmen der Zumutbarkeit die Lieferung von Ersatzware verlangen, sofern eine Ersatzlieferung möglich ist. Welche konkreten Maßnahmen die Lieferanten im Rahmen der Zumutbarkeit ergreifen müssen, hängt ebenfalls vom Einzelfall ab.

Auswirkungen auf Unternehmenstransaktionen

Auch auf Unternehmenstransaktionen kann sich der derzeitige Ausbruch von COVID-19 auswirken: Es stellt sich etwa die Frage, ob einem Unternehmenskäufer, sollte das Ziel-Unternehmen aufgrund der Epidemie – nach Vertragsschluss, aber vor dessen Vollzug – erhebliche Umsatzeinbußen verzeichnen oder jedenfalls erwarten, ein Rücktrittsrecht zusteht.

Ein solches könnte sich aus einer Material Adverse Change-Klausel (MAC-Klausel") ergeben. Diese ursprünglich aus den USA stammenden, mittlerweile aber global genutzten vertraglichen Reglungen greifen ein, wenn sich zwischen dem Abschluss des Vertrags (Signing) und dessen Vollzug (Closing) schwerwiegende Änderungen an der Vermögens-, Finanz- oder Ertragslage der Zielgesellschaft ergeben. Durch die Aufnahme einer solchen Klausel weichen die Vertragsparteien von den gesetzlichen Regelungen zur Risikoverteilung zwischen Käufer und Verkäufer ab. Liegen die vereinbarten Voraussetzungen vor, gewährt eine solche Klausel üblicherweise dem Käufer das Recht, sich vom Kaufvertrag zu lösen. Zu ermitteln, welche Fälle im Einzelnen erfasst werden, ist nicht unproblematisch: Auch wenn im deutschen Rechtsverkehr üblicherweise genutzte MAC-Klauseln häufig konkreter und inhaltlich bestimmter sind als ihre zumeist recht vage gefassten Vorbilder aus dem angloamerikanischem Raum, steigt auch hierzulande die Auslegungsbedürftigkeit, je pauschaler die getroffenen Formulierungen sind. Die spätere Anwendung der Klausel erleichtern kann daher die ausdrückliche Aufnahme (Inclusion) bestimmter Ereignisse, bei denen ein MAC" nach dem Willen der Parteien in jedem Fall vorliegen soll. Aufgrund der Vielzahl der dafür in Betracht kommenden Eventualitäten ist eine kasuistische Aufzählung oftmals jedoch gar nicht möglich; insofern wird sich in der großen Mehrzahl aller MAC-Klauseln keine explizite Regelung für Fälle der pandemischen Ausbreitung einer Krankheit wie COVID-19 finden. Es wird dann darauf ankommen, ob der Klausel entnommen werden kann, dass der Verkäufer durch die Vereinbarung tatsächlich auch das Risiko für unternehmensexterne Einflussfaktoren außerhalb seiner Einflusssphäre übernehmen wollte und ob die Einschränkungen durch den Coronavirus mit den bislang typischerweise erfassten Fällen (etwa militärische Konflikte oder Naturkatastrophen) vergleichbar sind.

In einem zweiten Schritt ist dann zu beachten, dass MAC-Klauseln typischerweise nur schwerwiegende" Beeinträchtigungen des Zielunternehmens erfassen, generelle Entwicklungen oder Ereignisse grundsätzlich aber unbeachtlich bleiben. Ob diese Erheblichkeitsschwelle im Einzelfall erreicht ist, kann zwischen den Parteien streitig werden. Um solche Auslegungsprobleme zu vermeiden, bietet es sich an, in die Klausel genau definierte Schwellenwerte aufzunehmen, um besser bestimmen zu können, wann erwartete oder eingetretene Einbußen oder sonstige Veränderungen die gewünschten Rechtsfolgen haben sollen.

Um zwischen den Parteien langwierigen Streit über die Reichweite der Klausel zu vermeiden, sollten bereits bei Vertragsschluss Vorkehrungen getroffen werden, die schnell zu Rechtssicherheit über das Vorliegen der Voraussetzungen der MAC-Klausel führen. Eine normale" gerichtliche oder schiedsgerichtliche Auseinandersetzung, mit dem Ziel der Feststellung des Vorliegens dieser Voraussetzungen, dürfte schon angesichts der erheblichen Dauer der Verfahren nicht in Betracht kommen. Abhilfe könnte ein beschleunigtes Schiedsverfahren oder eine schiedsgutachterliche Feststellung sein – bei letzterer Variante wird ausschließlich das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Material Adverse Change geprüft. Ein schiedsgutachterliches Verfahren bietet die Aussicht auf eine schnelle Entscheidung der streitigen Frage mit hoher Verbindlichkeit, auch wenn die Feststellungen später unter bestimmten engen Voraussetzungen wiederum angefochten werden können.

Fazit und kurze Rechtsvergleichung

Das deutsche Zivilrecht enthält mit den Regelungen zum Wegfall der Geschäftsgrundlage eine ausdrücklich kodifizierte Grundlage für Vertragsanpassungen, für den Fall, dass sich substanzielle Veränderungen der von den Parteien bei Vertragsabschluss übereinstimmend zugrunde gelegten Vorstellungen ergeben.

Sowohl das US-amerikanische als auch das englische Recht kennen vergleichbare Institute (Frustation), für die jedoch besondere Voraussetzungen gelten. Gleiches gilt für das amerikanische Pendant zum deutschen Unmöglichkeitsrecht (Impossibility). Für detaillierte Informationen zum US-amerikanischen, englischen und französischem Recht klicken Sie bitte hier . Ausgehend vom angloamerikanischen Rechtskreis haben sich daher mit Force-majeure- und mit MAC-Klauseln auch in Deutschland vertragliche Instrumente durchgesetzt, die den Vertragsparteien eine flexible Anpassung der Risikoverteilung auf ihre speziellen Bedürfnisse ermöglichen. Bei solchen privatautonomen Vereinbarungen ist dann aber unbedingt auf ihre hinreichende inhaltliche Bestimmtheit und deren schnelle und effektive Durchsetzung zu achten.

Auswirkungen auf die bevorstehende Hauptversammlungssaison

Es ist damit zu rechnen, dass in der nächsten Zeit Großveranstaltungen – zu denen auch Hauptversammlungen von Publikumsgesellschaften zählen – nicht wie geplant stattfinden können. Angesichts der bevorstehenden Hauptversammlungssaison stellt sich die Frage, wie Publikumsgesellschaften auf diese Situation reagieren sollen. Die Hauptversammlung einer Publikumsgesellschaft muss spätestens acht Monate (im Falle der SE sechs Monate) nach Ende ihres Geschäftsjahrs abgehalten werden, in Deutschland somit üblicherweise bis Ende August.

Zwar gibt es mittlerweile die gesetzliche Möglichkeit, dass Aktionäre ihre Rechte ohne persönliche Anwesenheit in der Hauptversammlung im Wege elektronischer Kommunikation ausüben können. Da dies jedoch in der Satzung der Gesellschaft ausdrücklich zugelassen sein muss und sich bislang in der Praxis eine überwiegend virtuelle Hauptversammlung" noch nicht durchgesetzt hat, dürfte dies als kurzfristige Lösung kaum praktikabel sein.

Für den Fall, dass sich die Situation nicht bald entspannt, wird in vielen Fällen daher nur eine Verschiebung der Hauptversammlung in Betracht kommen. Bis zum Ende der maßgeblichen Frist ist das unproblematisch und ggf. auch ohne weitere Begründung möglich. Eine Verschiebung über den gesetzlich vorgesehenen Zeitraum hinaus ist hingegen nur möglich, wenn die Fristüberschreitung vertretbar ist. Dafür ist im Wesentlichen das Gesellschaftsinteresse maßgeblich. Dazu kann auch die Verpflichtung gezählt werden, Teilnehmer an von der Gesellschaft veranstalteten Ereignissen vor Gesundheitsrisiken zu schützen.

Sollten Großveranstaltungen behördlich untersagt sein, wird eine Verschiebung schon aufgrund einer Pflichtenkollision vertretbar sein. Aber auch im Falle der freiwilligen Verschiebung wird man davon ausgehen müssen, dass es grundsätzlich im Interesse der Gesellschaft liegt, eine möglichst umfassende Wahrung der Aktionärsrechte zu gewährleisten – schließlich dient die Hauptversammlung gerade der Wahrnehmung dieser Rechte.

Aus demselben Grund dürfte andererseits auch ein erhebliches Anfechtungsrisiko bestehen, wenn die Hauptversammlung für eine Zeit angesetzt wird, zu der die Aktionäre aufgrund der Ansteckungsgefahr reihenweise fernbleiben.

In jedem Fall sollten entsprechende Diskussionen und Abwägungen innerhalb der Gesellschaftsorgane umfassend dokumentiert werden, um für mögliche spätere Auseinandersetzungen vorbereitet zu sein.

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