In seiner Entscheidung vom 12.06.2018 in der Rechtssache Grauzementkartell" (Az. KZR 56/16) beantwortet der BGH grundsätzliche Rechtsfragen zum Kartellschadensersatz, die bislang in der Fachwelt umstritten waren und beendet die jahrelang herrschende Rechtsunsicherheit, die durch die bisherige uneinheitliche Rechtsprechung entstanden war.

Die nun verkündete höchstrichterliche Entscheidung erleichtert Geschädigten die Durchsetzung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche und setzt den klägerfreundlichen Kurs fort, der sich in den letzten Jahren in der Rechtsprechung bereits abgezeichnet hatte.

Die Entscheidung war mit besonderer Spannung im Hinblick auf die Verjährung von Schadensersatzansprüchen erwartet worden. Zusätzlich hat sich der BGH nun auch zu prozessualen Fragen positioniert.

Der heutigen BGH-Entscheidung war ein jahrelanger Rechtsstreit zwischen einem Baustoffhändler und einem Zementhersteller vorausgegangen. Letzterer hatte sich an wettbewerbswidrigen Gebiets- und Quotenabsprachen im sogenannten Grauzementkartell beteiligt. Der Rechtsvorgänger des Klägers bezog zwischen 1993 und 2002 Zement von dem beklagten Unternehmen und verlangt nun Schadensersatz wegen der kartellrechtswidrig zustande gekommenen Lieferpreise.

Mit dem Fall waren vor dem BGH bereits das Landgericht Mannheim und das Oberlandesgericht Karlsruhe befasst. Letzteres veröffentlichte im Jahr 2016 eine viel beachtete Berufungsentscheidung (Urteil v. 09.11.2016, Az. 6 U 204/15 (Kart)), in dem es sich mit bereits damals umstrittenen Problemen des Kartellschadensersatzrechts vertieft auseinandergesetzt hatte. Über die hiergegen gerichtete Revision beider Parteien befand heute der BGH.

Der Kläger hatte seine Ansprüche bei Klageerhebung unbeziffert gelassen und verlangte stattdessen die Feststellung, dass ihm der beklagte Zementhersteller Schadensersatz wegen seiner Teilnahme am Kartell und den daraus resultierenden Preisverzerrungen schuldet. Nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist eine solche Feststellungsklage nur zulässig, wenn sich der Schaden noch in der Entwicklung befindet und der Geschädigte daher gar nicht in der Lage ist, die genaue Schadenshöhe zu beziffern. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz soll es nach Ansicht des OLG Karlsruhe jedenfalls in Kartellsachverhalten geben, weil die Schadensberechnung in der Regel sehr komplex und mit unverhältnismäßigem Zeit- und Kostenaufwand verbunden sei. Angesichts dieses Aufwands dürfe der Geschädigte trotz der bereits abgeschlossenen Schadensentwicklung zunächst nur auf Feststellung klagen, um so eine mögliche Verjährung seiner Ansprüche zu verhindern. Die genaue Schadenshöhe würde dann erst geklärt, wenn die Haftung des Kartellanten feststeht – der dann auch die Kosten für die notwendigen ökonomische Gutachten zu tragen hätte.

Dieser Auffassung schloss sich nun auch der BGH an. Die obersten Richter folgten der Argumentation der Vorinstanz und gaben der auf Feststellung gerichteten Klage statt.

Hauptthema der heutigen Entscheidung war jedoch die Verjährung von Schadensersatzansprüchen. Das OLG Karlsruhe hatte die Klage in großem Umfang abgewiesen, weil es die klägerischen Ansprüche zu einem Großteil als verjährt angesehen hatte. Hintergrund ist ein Streit um die Auslegung des § 33 Abs. 5 GWB a.F. (heute § 33h Abs. 6 GWB). Die Vorschrift wurde zum 01.07.2005 eingeführt und sorgt für die Hemmung der Verjährung von Kartellschadensersatzansprüchen während des Zeitraums, in dem die die Europäische Kommission oder andere nationale Kartellbehörden eines Mitgliedstaates den Fall ausermitteln. Lange war umstritten, ob diese Hemmungswirkung auch Ansprüche erfasst, die vor Einführung der Norm entstanden sind. Sollte dies nicht der Fall sein, so wären wegen der im Kartellschadensersatzrecht geltenden kenntnisunabhängigen Verjährungshöchstfrist von 10 Jahren sämtliche Ersatzansprüche für solche Altfälle spätestens seit dem 30.06.2015 verjährt. Das OLG Karlsruhe hatte sich noch gegen eine ausgedehnte Anwendung der Norm ausgesprochen und befunden, dass die kartellbehördlichen Ermittlungen nur hinsichtlich solcher Ansprüche die Verjährung hemmen konnten, die nach Einführung der Vorschrift entstanden sind.

Anders sah dies nun der BGH und beendete den Streit um die Verjährungshemmung. Die obersten Richter stellten zu Gunsten von Kartellgeschädigten klar, dass § 33 Abs. 5 GWB rückwirkend anzuwenden ist und damit die Hemmung auch für Altfälle greift. Diese Erkenntnis ist von kaum zu überschätzender praktischer Relevanz, da Geschädigte nun auch in Fällen, in denen die Kartellrechtsverletzung weit zurückliegt, noch auf Ersatz des Schadens hoffen dürfen. Schließlich werden die zahlreichen Gerichte in Deutschland, die sich derzeit mit Kartellschadensersatzklagen befassen, ihre Urteile nun an der aktuellen BGH-Entscheidung ausrichten und Schadensersatz auch für vor Juli 2005 begangene Kartellverstöße zusprechen können.

Wenngleich die vollständigen Urteilsgründe noch nicht veröffentlicht sind, enthält die Pressemitteilung des BGH zu seiner heutigen Entscheidung wenig Überraschendes. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung hatte sich über die letzten Jahre eine Tendenz zu Gunsten von Kartellgeschädigten abgezeichnet. Erst vor etwa zwei Jahren hatte der BGH in seiner Grundsatzentscheidung Lottoblock II" die Anforderungen für den Nachweis von Kartellschäden deutlich klägerfreundlich ausgestaltet (Urteil vom 12.07.2016, Az. KZR 25/14; hierzu Jungermann, in: Compliance-Berater 2016, S. 440). Die aktuelle Entscheidung setzt diesen Kurs fort und kommt Kartellgeschädigten weiter entgegen.

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